In ihrem Beitrag erzählt sie von ihren Erlebnissen und Erfahrungen des Reisens, welche sie als Kind erlebt hat. Wer mehr über Lydia und ihre Sehbehinderung erfahren möchte, kann gerne auf ihrem Blog Lydias Welt vorbeischauen.

Rückkehr nach Jordanien
Das Beitragsbild zeigt mich vor einem Haus in Jordanien. Es ist Anfang Dezember und die Sonne scheint.
Die ersten vier Jahre lebte ich mit meiner Mutter und meinem einem Jahr jüngeren Bruder in Amman, der Hauptstadt Jordaniens. Mein Vater arbeitete schon in Deutschland. Ihn lernte ich erst kennen, als wir nach Deutschland flogen.
Ich wuchs hier auf, besuchte eine Blindenschule und wechselte mit dem 7. Schuljahr auf ein Gymnasium für blinde und sehbehinderte Schüler. Während dieser Zeit bekam ich drei weitere Geschwister und meine Eltern zogen noch zweimal mit uns um. Auf dem Gymnasium sah ich meine Eltern nur noch einmal im Monat und während der Schulferien, da wir auch samstags Unterricht hatten.
Jordanien kannte ich somit nur noch aus meinen frühkindlichen Erinnerungen und von Erzählungen meiner Eltern. Am meisten war mir das Haus in Erinnerung geblieben, welches meine Großeltern bewohnten. Ich weiß noch, dass ich auch Jahre später noch wusste wie der Grundriss war und was wo zu finden war. Für einen Familienurlaub reichte das Geld meines Vaters nicht aus. Nur meine Mutter war zwischendurch zweimal bei ihrer Familie gewesen. Beim ersten Mal nahm sie meine jüngere Schwester mit, da diese noch ein Baby war, beim zweiten Mal war mein Bruder dabei.
Irgendwann in der siebten Klasse erklärten mir meine Eltern und den Geschwistern, dass wir zum ersten Mal in den Sommerferien nach Jordanien fahren würden. Wir würden die Großmutter und alle anderen Verwandten in Jordanien wiedersehen. Mein Großvater mütterlicherseits lebte inzwischen nicht mehr. Und den Rest kannte ich hauptsächlich aus Erzählungen. Ein Onkel war zwischendurch einmal mit seiner Frau zu Besuch bei uns gewesen. Das war alles. Daher sah ich dieser Reise mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits freute ich mich darüber, dass wir auch mal Urlaub machten, so wie viele andere aus meiner Klasse, andererseits machten mir die vielen fremden Menschen Angst. Ich wäre gern hier in Deutschland geblieben. Aber das war nicht wirklich eine Option. Und ich wusste wie sehr sich meine Eltern auf die Reise freuten.
Um Kosten zu sparen, war es in den 80er Jahren noch üblich mit dem Auto nach Jordanien zu fahren. Damals fragte man nicht wieviel in das Auto passte, sondern wie viele Personen und Gegenstände mit mussten. Daher war der Kombi voll bis unter das Dach, als wir fünf Kinder und unsere Eltern früh um vier Uhr losfuhren. Ich wusste nur, dass wir viele Tage unterwegs sein würden. Und so langsam freute ich mich auf das Abenteuer. Wir würden durch Österreich, das frühere Jugoslawien, Bulgarien und die Türkei fahren.
Wir waren vier Tage unterwegs, als wir Damaskus erreichten. Dort hatten wir Verwandtschaft und machten daher zwei Tage Pause. So konnte sich mein Vater etwas ausruhen und meine Mutter ebenfalls. Denn an Schlaf war in den letzten Tagen nur wenig zu denken, Wir hatten zweimal in der Türkei auf einem Zimmer übernachtet. Das hieß vier Stunden Schlaf für meinen Vater, der die ganze Zeit fuhr.
Eine Tagesreise später waren wir dann in Amman. Als erstes ging mir durch den Kopf, dass der Grundriss, den ich noch in Erinnerung hatte, größtenteils stimmte.
Die nächsten sechs Wochen verbrachten wir bei meiner Großmutter. Hier stand uns allen ein Raum zur Verfügung. Ich weiß noch, dass ich mir stets das Bett mit meiner sechs Jahre jüngeren Schwester teilen musste.
In den ersten Tagen kamen eine Menge Verwandte und Bekannte meiner Eltern zu uns, um denjenigen Respekt zu zollen. Die nächsten zwei Wochen waren mit diversen Einladungen zum Essen gespickt. Denn Araber sind ein gastfreundliches Volk. Und die letzten Tage vor Abflug kamen dieselben Leute nochmals vorbei, um sich zu verabschieden. Denn man würde sich für lange Zeit nicht wiedersehen.
Meine normal sehenden Geschwister konnten alleine vor die Tür, oder auch mal zum nahegelegenen Kiosk gehen, um sich etwas Süßes zu kaufen. Außerdem fanden sie schnell Kontakt zu gleichaltrigen Kindern.
Für mich galten andere Gesetze. Ohne Begleitung vor die Tür zu gehen, ging gar nicht. Ich war 14 Jahre alt, ein Mädchen und dazu blind. Genügend Gründe dafür, dass ich nicht raus durfte. Die Ausnahme war der kleine Hof, in welchen ich mich manchmal setzte. Außerdem wohnte noch ein Onkel mit seiner Familie auf dem Grundstück. Auch hier hielt ich mich ab und zu auf. Da war wenigstens etwas Leben in der Bude.
Ich war nicht ausreichend vorbereitet. Sonst hätte ich mir mein Beschäftigungsmaterial mitgenommen. Bücher in Blindenschrift gingen nicht, da diese viel Platz benötigten. In meiner Handtasche befand sich mein Tagebuch, welches ich in Druckschrift führte. Es ging zwar sehr langsam, aber ich hatte ja Zeit. Außerdem hatte ich mir in Deutschland Stricknadeln und ein Wollknäuel mitgenommen. Auch damit konnte ich mich ein bisschen beschäftigen. Ich hatte das vor ein paar Monaten von einer unseren Erzieherinnen gelernt und übte einfach nur. Irgendwann begann ich einfach so Muster auszuprobieren. Hier hatte ich die Bewunderer auf meiner Seite. Keiner hatte sich bisher vorstellen können, dass blinde Menschen besser stricken als sie selbst.
Ich war froh wieder in Deutschland zu sein. Denn hier lebten meine Freunde und ich hatte wieder Zugriff auf Lesestoff.
Wir waren noch mehrmals in Jordanien. Und ich war dabei. Diesmal freiwillig. Ich hatte gelernt damit umzugehen, dass bestimmte Dinge eben anders liefen als ich es gewohnt war. Vor allem als meine Eltern ihr Eigenheim hatten, genoss ich mehr Freiheit. Ohne Begleitung rauszugehen ging zwar immer noch nicht, dafür hatte ich die Möglichkeit mich nach draußen zu setzen oder mich zurückzuziehen, wann ich es wollte. Auch in der Familie gab es den einen oder anderen Ausflug, oder ich konnte mal mit einer meiner Schwestern weggehen.
So richtig Land und Leute lernte ich erst kennen, als ich den Gründer der Arab Episcopal School kennen lernte. Dies ist eine Schule, welche blinde, sehbehinderte und sehende Kinder im Norden Jordaniens unterrichtet. Sein Freund Diakon Gunter Hell, der in der Blindenseelsorge tätig war, plante eine Studienreise für Blinde und deren Begleiter. Da ich mich für diese Schule engagierte, war diese Reise einfach ein MUSS für mich. Auch fehlten uns manchmal die Übersetzer, so machte ich das eben. Diese Reise hat mein Selbstwertgefühl als stark Sehbehinderte gesteigert.
Ein Fazit
Es ist noch nicht lange her, dass Menschen mit Behinderung in Jordanien die Möglichkeit bekommen, am regulärem Unterricht teilzunehmen. Behinderung ist noch immer ein Thema, welches in Jordanien totgeschwiegen wird, und eine Art Defizit in der Familie darstellt. Blinde Menschen dürfen in Jordanien beispielsweise nicht alleine ein Bankkonto eröffnen, ohne dass zwei sehende Zeugen dabei sind.
Als hoffnungsloser Optimist möchte ich einfach glauben, dass sich die Situation von Menschen mit Behinderung mehr und mehr verbessert. Und meinen Teil werde ich gern dazu beitragen.
Lydia
Hallo, das ist ein Thema worüber es bestimmt noch viel mehr zu schreiben gibt. Ich glaube, der Umgang mit Menschen mit Behinderung ist in vielen arabischen Ländern noch ein Tabu-oder Randthema. Ich habe erst letztens darüber nachgedacht, wo die ganzen Menschen mit Behinderung in Marokko sind. Ich habe in zwei Jahren vier Leute kennengelernt. Zwei davon zuhause, zwei als Bettler auf der Straße.
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Danke für Deinen Kommentar. ja leider wird in vielen Ländern dieses Thema nicht offen auf den Tisch gepackt. Man möchte es nicht glauben, es gibt auch noch europäische Länder, wo Menschen mit Behinderung extrem stark ausgegrenzt werden.
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Ich freue mich, daß ich für Dein Blog schreiben darf.
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Auch ich freue mich, Dich als Gast auf meinem Blog haben zu dürfen.
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